Am 4. Januar 2018 verstarb Herbert Sander. Der Thüringer Maler und Grafiker schuf das Symbol der kirchlichen Friedensbewegung "Schwerter zu Pflugscharen" nach einer Plastik, die die Sowjetunion 1959 den Vereinten Nationen geschenkt hatte und deren Foto in den DDR-Jugendweihe-Büchern verwendet wurde. Als Aufnäher war die Grafik in den 1980er Jahren das Symbol der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR.
Herbert Sander wurde am 28.10.1938 in Nordhausen geboren. Nach einem Studium der Grafik und Malerei an der Fachhochschule Berlin-Potsdam war er bis 1965 im Filmstudio der DEFA tätig. Seit 1967 war er freischaffender Maler, Fotograf und Grafiker und lebte in Kleinmachnow. Auch in Thüringen war er mit Einzelausstellungen präsent. In den letzten Jahren dokumentierte er mehr als 60 jüdische Friedhöfe in Brandenburg.
Sein antimilitaristisches Symbol ließ die evangelische Kirche in der DDR auf Stoff-Flies drucken. Eine staatliche Druckgenehmigung wurde dafür nicht benötigt. Als Jugendliche begannen das Symbol als Aufnäher zu tragen, wurde das schließlich polizeilich verfolgt. Aus der Bildidee erwuchs eine politische Kraft, sie wurde Symbol der Kritik an der Militarisierung in der DDR und der Autonomie- und Friedenssehnsucht vieler DDR-Bürger. Das Symbol wirkt über seinen Tod hinaus.
Nachtrag 13.01.2018:
Nachtrag bzgl. der Meldungen des mdr, den Dresdner Neuesten Nachrichten und anderen Medien am 10./11.1.2018 unter der Überschrift: "Der Schöpfer der Grafik "Schwerter zu Pflugscharen" ist tot."
"Die Veröffentlichung "Der Schöpfer der Grafik 'Schwerter zu Pflugscharen' ist tot spricht von dem Grafiker Herbert Sander als dem "Erfinder des Emblems 'Schwerter zu Pflugscharen'. Das ist schlicht unkorrekt und falsch.
Die zunehmende Militarisierung der gesamten Gesellschaft und die politischen Zuspitzungen im Ost-West-Konflikt ängstigte Anfang der 1980iger Jahre viele Menschen. Das angehäufte Vernichtungspotential in aller Welt, aber auch in der DDR beschäftigte besonders Jugendliche. Sie empfanden den lautstark verkündeten, außenpolitisch vermarkteten Friedenswillen der DDR zunehmend als unerträgliche Diskrepanz zur fortschreitenden Militarisierung, besonders in der Wirtschaft und Bildung, aber auch in allen anderen Lebensbereichen in der DDR. Sie ahnten, dass sie die Soldaten der Zukunft sind, die im Ernstfall mit ihrem Leben bezahlen. Sie setzten sich existentiell ernsthafter mit der Entscheidung in Wehrdienstfragen auseinander. Sie suchten Argumente und Zeichen, mit denen sie sich identifizieren konnten. Sie widersetzten sich vielfach dem Druck der
Lehrer, die mit beruflichen Nachteilen drohten, wenn Schüler und Lehrlinge sich weder zur Offizierslaufbahn, noch als Zeitsoldaten werben ließen. Sie begannen sich stärker mit Friedensfragen zu beschäftigen.
In dieser Situation wurden wir Landesjugendpfarrer, aber auch viele andere Jugendmitarbeiter in den Landeskirchen um Rat und Entscheidungshilfe in Fragen des Wehrdienstes gebeten. Gleichzeitig hatte der Europäische Christliche Jugendrat (EYCE) einen Europäischen Abrüstungstag angeregt, den die jugendlichen Christen in ihrem Land selbst gestalten sollten.
Als einer, der am 13. Februar 1945 aus einem brennenden zerbombten Haus von seiner Mutter herausgezogen worden war, wusste ich plötzlich, dass meine damalige Errettung Verpflichtung war, für diese Aktivität Verantwortung zu übernehmen.
Gott schenkte in Zusammenarbeit mit meinen Freunden und in Abstimmung mit den Landejugendpfarrern, der Kommission Kirchlicher Jugendarbeit und der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Jugend "herrliche Ideen und Impulse", die ich umsetzte. So entstand die Friedensdekade der Kirchen. Für zehn Tage bis zum Bußtag (deswegen Friedensdekade) entstand Material für Jugend-und Gemeindeabende wie für Friedensgottesdienste.
Die erste Idee führt mich zu der Überlegung, dass Abrüstung und Friedensarbeit immer eigenes Umdenken, neues Denken und Buße benötigen. Es geht nicht an, dass die Schuld nur bei den anderen gesucht wird. Deswegen verband ich die Friedensdekade mit dem Bußtag.
Laut Honecker von 18. Juli 1953 war die kirchliche Jugendarbeit, die Junge Gemeinde, keine Jugendorganisation, sondern eine Lebensäußerung der Kirche. "Die jungen Menschen in den Jungen Gemeinden hatten zu beten, Bibel zu lesen und nicht zu baden." hatte er damals formuliert.
Die Besinnung auf die Grundlage des Glaubens, wie das Wissen um die Bedrängnisse der JG durch den Staat, führten mich zu dem Bibelwort von Micha 4,3 und Jesaja 2,4. "Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Spieße zu Sicheln machen und nicht mehr lernen Krieg zu führen."
Es war für mich nicht nur ein prophetisches Wort. Vielmehr wagte der König Hiskia angesichts der Belagerung Jerusalem durch den mächtigen assyrischen König Sanherib um 701 v. Chr. dem Rat seiner Propheten mehr zu vertrauen, als den militärischen Beratern. Er tat Buße und bat mit den Propheten um Gottes Hilfe.
Und das Wunder geschah! Sanherib zog ab. Die Pest wütete in seinem Heer und die Thronstreitigkeiten in Ninive zwangen ihn zum Rückzug.
Als Landesjugendpfarrer wusste ich, dass Jugendliche Zeichen brauchen, um sich zu artikulieren und erkennbar zur sein. Im Gespräch mit meinen Freunden, dem Begründer des Friedensseminars Königswalde, Hansjörg Weigel, und des Friedensseminars Meißen, Rudolf Albrecht, erinnerte ich mich an die Plastik des russischen Bildhauers Jewgenij Wutschetitsch. Ein kräftiger Schmied schmiedet ein Schwert in eine Pflugschar um. Darunter steht: "Wir, die Sowjetunion, werden die Schwerter zu Pflugscharen umschmieden".
Eine Kopie dieser Plastik schenkte Chrustschow 1959 den Vereinten Nationen. Sie steht in Moskau und in New York, also in Ost und in West, ist folglich nicht einseitig. Ihr Schöpfer ist ein Russe. Er hat ein biblisches Wort abgebildet.
Dagegen kann nicht einmal die DDR etwas haben, dachte ich und machte sie zur Abbildung auf dem Lesezeichen zwischen den Worten "Frieden schaffen ohne Waffen und Schwerter zu Pflugscharen" Meinen Entwurf des Lesezeichens setzte meine Grafikerin, Ingeborg Geißler, Dresden, in eine Reinzeichnung um, nach der ich die Lesezeichen in Herrnhut auf Vlies drucken ließ, den Vliesdruck zählte als Textiloberflächenveredlung und bedurfte keiner Druckgenehmigung.
Nach Vorstellung des Materials in der Landeskirche wie im Bund der Ev. Kirchen in der DDR wandte ich mich an Manfred Stolpe, den Sekretär des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR. Nach eineinhalb Stunde Vorstellung und Gespräch sagte er: "Hier hast Du meine Unterschrift. Mach los. Es wird herausgegeben vom Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR in Zusammenarbeit mit den Landesjugendpfarrern. Nur für innerkirchlichen Dienstgebrauch! USB 709/80"
Die gedruckten Lesezeichen und die Materialmappen mit den Entwürfen zu Jugend- und Gemeindeabenden und Gottesdiensten wurden dann von mir über die Landesjugendpfarrer in der Jugendarbeit der Landeskirchen in der DDR verteilt.
Anfänglich wurde das gewählte Symbol von manchen belächelt. Einer der Landesjugendpfarrer erwartete sogar eine Ablehnung durch die Jugendlichen. "Es lockt keinen hinter dem Ofen vor. Es ist viel zu sowjetisch."
Aber die Jugendlichen legten das Lesezeichen in ihre Schulbücher. Manchmal brachten Schüler und Lehrer die Bibel mit in die Schule und diskutierten über das Prophetische Wort. Einige Jugendliche schnitten das Zeichen aus, nähten es sich auf ihre Parkas und trugen es in die Öffentlichkeit.
Deswegen habe ich mit Landesjugendpfarrer Manfred Domrös abgestimmt, für die 2. Friedensdekade 1981 nicht nur 100 000 Lesezeichen, sondern auch 100 000 Aufnäher drucken zu lassen.
Der Grafiker Herbert Sander aus Berlin nahm die graphische Umsetzung des abgebildeten Schmiedes von Frau Ingeborg Geißler und meine Formulierung "Schwerter zu Pflugscharen" auf. Er ordnete die Schrift im Kreis an und gestaltete den Aufnäher in den Farben der Trikolore.
Die Friedensdekade mit dem Symbol "Schwerter zu Pflugscharen" hat die Kirchliche Jugendarbeit über die Grenzen hinaus weltweit bekannt werden lassen. Diese Aktion ist aus der Friedensdekade herausgewachsen und hat zugleich eine sehr große politische Aufmerksamkeit gefunden.
Besonders müssen die unzähligen Jugendlichen gewürdigt werden, die in den siebziger und achtziger Jahren gegen die Militarisierung in aller Welt protestiert und sich verweigert haben. Für sie waren das Lesezeichen und dann der Aufnäher ein Zeichen christlicher Hoffnung und Sehnsucht. Sie haben damit dem biblischen Friedenszeugnis Hände und Füße gegeben.
Allerdings hatte die "h e r r l i c h e Ideen" bald schlimme Folgen. 1980 nahmen die Politiker Anstoß an der Friedensminute. Da der Bußtag immer auf Mittwoch fällt, und Mittwoch, 13.00 Uhr, die Sirenen im Landes gingen und die Sicherheitssysteme überprüft wurden, hatte ich für die Zeit zu Friedensgebeten im ganzen Land eingeladen und vorgeschlagen, angesichts der Gefährlichkeit der Situation, zu den Sirenen und den Friedensgebeten die Glocken einzuschalten.
Dagegen wurde von den Politikern erheblich gekämpft. Zwischen November 1981 und 1982 sowie in den Folgejahren hatten vor allem Mittel- und Oberschüler, aber auch die Lehrlinge und Berufsschüler, wie die Studenten schwere nachteilige Folgen zu tragen, wenn sie die Aufnäher und Lesezeichen nicht von ihrer Kleidung entfernten.
Lehrer wie Polizisten argumentierten: Der undifferenzierte Pazifismus ist friedensfeindlich. Sie sind das Emblem des sozialen Friedensdienstes, der in der DDR verboten ist. Die Herstellung ist illegal.
Es handelt sich um westlichen Import. Das Tragen ist verfassungsfeindlich. Es verunsichert die Offiziersbewerber und die länger Dienenden und ist damit Wehrkraftzersetzung. Es handelt sich um keine staatliche Aktivität und ist daher als "schulfremde Material", laut Schulordnung verboten.
Jugendliche, die die Aufnäher nicht entfernten, wurden vom Schuldirektor so lange bearbeitet, bis sie sie abtrennten. Ansonsten wurden die Eltern einbestellt. Mitunter griffen die Direktoren selbst zur Schere. Bei Nichtentfernung wurden sie bestraft: mit Verbot die Schule oder den Betrieb zu betreten; mit Kündigung des Lehrvertrages; mit Nichtzulassung zum Abitur und mit Relegierung von der Oberschule oder vom Studium.
Erst nach der Revolution wurde der Grund für die Härte gegenüber den Aufnäherträgern bekannt. Der Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, hatte eine Verordnung über "Maßnahmen zur Unterbindung des öffentlichen Tragens und des Verbreitens von Abzeichen, Aufnähern, Aufklebern, sonstigen Gegenständen, Symbolen und Texten mit pazifistischer Aussage" erlassen. Darin heißt es:
".. im Zusammenhang mit ... so genannten Friedensinitiativen der evangelischen Kirche werden besonders von auf oppositionellen Positionen stehenden oder politisch schwankenden und teilweise auch negativ-dekadenten Jugendlichen/Jungerwachsenen demonstrativ Abzeichen, textile Aufnäher u. ä. mit pazifistischer Aussage sichtbar an Bekleidungsgegenständen angebracht. Sie verfolgen das Ziel, sich mit der von reaktionären kirchlichen Kräften popularisierten Idee von einer sogenannten unabhängigen Friedensbewegung in der DDR zu solidarisieren und ihre oppositionelle und ablehnende Haltung, insbesondere zur sozialistischen Verteidigungspolitik, damit offen zum Ausdruck zu bringen. Zur wirksamen Unterbindung sind folgende Maßnahmen durchzuführen...."
Selbst diese Schikanen haben Jugendliche ertragen und haben damit das Friedenszeugnis Jesu vergegenwärtigt. Es hat sich wieder konkret bewahrheitet: Ein Bibelwort, nach dem besonders junge Menschen lebten, hat die Diktatur ins Wanken gebracht.
Diese durchlebte Gegendarstellung belegt, dass Herbert Sander keinesfalls der Schöpfer der Grafik und der Erfinder des Emblems "Schwerter zu Pflugscharen" ist, sondern dass er Ideen von Urhebern aufgegriffen und im Aufnäher zusammengesetzt hat, der durch die kirchliche Jugendarbeit entwickelt und verbreitet worden ist."
Harald Bretschneider
ehemaliger Landesjugendpfarrer, Oberlandeskirchenrat i.R.