Ergebnisse der internationalen Tagung zum Thema Vertreibungen im kommunistischen Herrschaftsgebiet vom 6. und 7. April 2017 in Geisa
Der Landesbeauftragte des Freistaats Thüringen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur richtete in Kooperation mit der Point Alpha Akademie am 6. und 7. April 2017 in Geisa eine internationale Tagung zum Thema Vertreibungen im kommunistischen Herrschaftsgebiet aus.
Junge Nachwuchswissenschaftler und renommierte Forscher wie Prof. Dr. Stefan Troebst (Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa an der Universität Leipzig), Dr. Pavel Polian (Moskau und Freiburg) oder Prof. Dr. Michael Schwartz (Institut für Zeitgeschichte München–Berlin) stellten ihre aktuellen Forschungen zum Thema vor und diskutierten Interpretationen und Einordnungen der Deportationen (GULag), Vertreibungen und Umsiedlungen. Markus Meckel (Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur) machte deutlich, dass die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus eine gesamteuropäische Aufgabe ist, und dass gerade die Erinnerung an die Vertreibungen dabei eine Herausforderung darstellt.
Im Zuge der Tagung wurde deutlich, dass es zeitweilig einen Zusammenhang zwischen der politisierten Sozialpolitik und einer nationalistischen Legitimierung der Herrschaft gab. Ob in der Sowjetunion, der CSSR, Rumänien oder Bulgarien, überall dienten Umsiedlungen der Machtsicherung. Zur Legitimation griffen die Kommunisten teilweise auf bestehende Feindbilder und Ressentiments zurück und aktivierten diese neu. Vertreibungen fanden unter anderem mit der Begründung des „Klassenfaktors“ (Kulaken, Kapitalisten) oder ideologischer Feindbilder, wie bei den Zwangsausgesiedelten statt, aber es gab auch Fälle von „ethnischen Säuberungen“.
Die Zwangsaussiedlungen und Kreisverweise, die in DDR bzw. in der sowjetischen Besatzungszone stattfanden, reihen sich in jene kommunistische Vertreibungspraxis ein. Ein Beispiel dafür war der Tagungsort selbst: Um die innerdeutsche Grenze zu sichern, fanden 1952 und 1961 Zwangsumsiedlungen aus Geisa und aus Geisaer Ortsteilen statt.
Der Landesbeauftragte Christian Dietrich erläuterte auf der Tagung dazu: „Es gibt viele Beispiele für Zwangsaussiedlungen in Thüringen. Mindestens 5.350 Thüringer Bürger aus über 230 Orten nahe der innerdeutschen Grenze wurden ins Landesinnere ausgesiedelt. Eine hohe Zahl, die dennoch nur einen Bruchteil betroffener Menschen spiegelt, die unter kommunistischen Diktaturen zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen wurden.“ (Das vollständige Grußwort des Landesbeauftragten finden Sie hier.)
Letztlich, darin waren sich die Teilnehmer einig, müssen die einzelnen Vertreibungsereignisse in der Forschung differenziert betrachtet und verglichen werden. Vor allem die Terminologie ist kompliziert, wie beispielsweise Kristián Ungváry in seinem Vortrag verdeutlichte: Im deutschen Sprachgebrauch wird von der Vertreibung der Ungarndeutschen, im ungarischen von der Aussiedlung gesprochen. Die Tagung zeigte, dass die Diskussion zu den kommunistischen Vertreibungen, auch im Hinblick auf die Etablierung und Festigung der kommunistischen Herrschaft, noch am Anfang steht. Die Konferenz endete mit einer Führung durch die Point Alpha Gedenkstätte.
Kooperationspartner der Tagung war die Point Alpha Akademie, finanziert wurde die Tagung mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Ein ausführlicher Tagungsbericht folgt in Kürze auf unserer Webseite.