Erfurt, den 20. November 2014
Sehr geehrte Frau Kipping,
sehr geehrter Herr Riexinger,
sehr geehrter Herr Gysi,
am 8. November erklärten Sie anlässlich des 25. Jahrestags der Öffnung der innerdeutschen Grenze: „Heute gehört die Erkenntnis, dass Grund- und Freiheitsrechte niemals auf dem Altar vermeintlich höherer Ziele geopfert werden dürfen, zu den programmatischen Kernsätzen der LINKEN. Heute erneuern wir die Entschuldigung für begangenes Unrecht und das Bekenntnis, dass wir Demokratie und Rechtsstaat wie zwei Augäpfel zu hüten haben.“
Ich begrüße die Wertschätzung der Grund- und Freiheitsrechte durch die Parteiführung der LINKEn und ihre Verbindung mit der Auseinandersetzung unserer Geschichte. Ihre Erklärung zeugt von der Spannung in Ihrer Partei in diesen Fragen aber auch von dem Interesse, als Partner in der Aufarbeitung ernst genommen zu werden. Aus diesem Grunde reagiere ich darauf.
Wenn es heißt „heute erneuern wir die Entschuldigung für begangenes Unrecht", so vermute ich, ist diese wiederholte sprachliche Verkürzung nicht zufällig geschehen. Arnold Vaatz (MdB) hatte seine Reden im Bundestag zum Tag des Mauerbrechens mit dem Biermann-Zitat geschlossen: „Jetzt weiß ich: Sie haben uns alles verziehen / Was sie uns angetan haben.“ Es ist diese Selbstermächtigung der Partei DIE LINKE, die einige Menschen, deren Würde in der DDR verletzt wurde, wütend macht: Die Gedemütigten und Verletzten sind nicht gefragt, ob sie bereit sind zu verzeihen.
Eine arrogante Erinnerungskultur, die mit einer Aufklärungsverweigerung verknüpft ist, verlängert die DDR mitten in die Demokratie und den Rechtsstaat. Trotz Ihrer Bekundungen stehen viele Politiker Ihrer Partei - auch außerhalb der Kommunistischen Plattform - nicht für eine Aufklärung des Unrechts in der DDR und den eigenen Anteilen. Wenn Sie jedoch behaupten, in der offiziellen Erinnerungskultur dominiere eine Schwarz-Weiß-Malerei, die weder dem Land noch den Menschen gerecht wird, so bleiben Sie den Nachweis dazu der Öffentlichkeit schuldig. An welcher Stelle sind Differenzierungen notwendig, für die die Partei DIE LINKE im öffentlichen Diskurs steht?
Demokratie lebt von der offenen politischen Auseinandersetzung, davon sind auch die verschiedenen Erzählungen über die Geschichte unseres Landes betroffen. Eine Instru-men¬ta¬lisierung von Biografien für die politische Auseinandersetzung beschädigen diese und verhindern eine wissenschaftliche Aufklärung und gesellschaftliche Würdigung. Wer ein öffentliches Amt und damit auch stellvertretend Verantwortung über¬nehmen möchte, muss sich auch öffentlichen Fragen zu seiner Biografie stellen und kann sich nicht hinter seinen Wählern verstecken.
Wir leben in einer offenen Gesellschaft in der DIE LINKE seit Jahren ihren Beitrag zur diskursiven Erinnerungskultur leisten kann. Was ist der spezifische Beitrag der Partei DIE LINKE zu Erinnerungskultur in unserem Land?
Wenn DIE LINKE die Würdigung der Lebensleistungen – wie in dieser Erklärung – an Lohn- und Rentenleistungen festmacht, dann muss sie sich zumindest fragen lassen, wo die Entschädigungen für Menschen, deren Bildungs- und Karrieremöglichkeiten in der DDR beschnitten wurden, heute kompensiert werden. Zumindest bei den ehemals von der SED verfolgten Schülern und Studenten und bei den Zersetzungsopfern klafft eine deutliche Lücke zwischen der rechtlichen Würdigung des erlittenen Unrechts und des sozialen Ausgleichs. Auch beim Vergleich der Renten von Politbüromitgliedern mit politischen Haftopfern ist schwerlich von einer gerechten Würdigung zu sprechen.
Wenn DIE LINKE sich als Partei der sozialen Gerechtigkeit profiliert, hat sie diese - wie viele andere Ungerechtigkeiten - nicht im Blick. Demagogisch ist es jedoch, wenn sie - offensichtlich in der SED-Tradition - meint, für alle ehemaligen DDR-Bürger sprechen zu können.
Wer anerkennt, dass der SED-Staat ein Unrechtsstaat war, der müsste auch die sogenannten „sozialistischen Errungenschaften“ als Teil der Rechtsverweigerung würdigen.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Dietrich
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